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Der Begriff Identität ist in verschiedensten Zusammenhängen von großer Bedeutung, sei es in Psychologie, Politik oder in den Social Media. Er ist nicht eindeutig definiert und folglich sehr facettenreich. In dieser Broschüre wird er und das, wofür er steht, aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet.
Der Theologe Enrico Grube geht in seinem Artikel der ambivalenten
Obsession nach, zu der die Frage der Identität für den spätmodernen Menschen geworden ist. Für den antiken wie mittelalterlichen Menschen war die eigene Identität bestimmt durch einen externen Zweck, der der individuellen Lebensführung vorgeordnet war, und der sowohl innerweltlich als tugendhaftes Leben als auch religiös als Rückkehr zu Gott in der Nachfolge Christi bestimmt werden kann.
Mit der Neuzeit wurde die Begründung der Ich-Identität mehr und mehr auf das Subjekt selbst, dessen Denken und Bewusstsein verlagert. Innerhalb der Entwicklung des subjektiven Identitätskriteriums kam es dann im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer zweiten Bewegung: von einer öffentlich bestimmten Identität, die das Erfüllen einer Rolle vorsah, hin zu einer sukzessive durch den „geschützten Raum“ des Privaten und Intimen bestimmten Identität.
Für eine Situation, in der dem Menschen alle klassischen Werte, die ihnen Ziele und Zwecke außerhalb ihrer selbst vermittelten, radikal fragwürdig geworden sind, scheinen die Versprechen des Transhumanismus, den Menschen zu modifizieren und zu verbessern wie geschaffen zu sein.
Der Religionswissenschaftler Robert Wurzrainer und der Psychologe Michael Utsch beschäftigen sich in ihren Artikeln damit, wie sich die religiöse und weltanschauliche Vielfalt auf die Identität auswirkt. Robert Wurzrainer setzt sich mit dem Phänomen von multiplen religiösen Identitäten auseinander. Sie charakterisieren Menschen, die sich in ihrer individuellen Religiosität nicht nur auf eine religiöse oder weltanschauliche Tradition beschränken, sondern in mehreren Traditionen nach Inspiration, Einsicht und Wahrheit suchten.
Michael Utsch weist darauf hin, dass religiöse und weltanschauliche Vielfalt für Menschen auf einer persönlichen und individuellen Ebene die Möglichkeit, bietet sich mit ihr aktiv auseinanderzusetzen und sie als Bereicherung bzw. als Inspiration anzunehmen. Pluralismus kann die eigene religiöse Identität und Profilbildung stärken. Gleichzeitig verweist er darauf, dass ein Mensch in einer Glaubensform beheimatet sein müsse, um die Möglichkeiten religiöser Alltagsbewältigung und Identitätsbildung nutzen zu können.
Verena Fabris und Dieter Gremel befassen sich vor dem Hintergrund ihrer
Tätigkeit in der „Beratungsstelle Extremismus“ in ihrem Text mit dem
Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Identität und Radikalisierungsprozessen, also der Hinwendung zu extremistischen Gruppen und Ideologien, wobei das Hauptaugenmerk auf Jugendlichen liegt. Nach einer Klärung der Begriffe „Extremismus“, „Radikalisierung“ und „Identität“ gehen sie auf das Identitätsmodell nach Hilarion Petzold ein und stellen seine Anwendung bei der Situationsanalyse und der Suche nach Lösungsansätzen im konkreten Beratungsfall vor.
Die Rechtsexpertin und Psychotherapeutin in Ausbildung Leylya Strobl stellt in ihrem Artikel die Bedeutung von Kultur und Kulturgütern für die Entwicklung und Weiterentwicklung von Identität dar. Dabei bezieht sie sich auch auf russische Denker:innen, ein akademisches Umfeld, das die Identität der Autorin maßgeblich beeinflusst hat.
Durch die Bedeutung von Social Media und die Möglichkeiten, die sie bieten, ergeben sich Herausforderungen für die Nutzer:innen. Andre Wolf, Fachmann für Social Media, beschäftigt sich mit der Fragen nach dem Verhältnis zwischen "digitalem Ich" und unserer realen Identität. Sind wir im digitalen Raum die gleiche Person wie in der physischen Welt? Die digitale Identität bringt Verantwortung mit sich und muss geschützt werden.
Der Philosoph Patrick Zoll SJ nimmt den Kampfbegriff „Identitätspolitik“ in den Blick. Dieser wird gebraucht, um entweder eine Verfalls- oder eine Fortschrittsgeschichte zu erzählen, um die eigenen politischen Präferenzen zu erklären und zu rechtfertigen. Weil solche Narrative unterkomplex sind und stark polarisieren, sollten Katholik:innen der Versuchung widerstehen, sie sich in einer
konservativen und kulturpessimistischen Verfallsvariante oder aber einer liberalen und progressiven Fortschrittsvariante einfach unkritisch zu eigen zu machen.