Weltanschauung
Erste Begriffsannäherung
Begriffsgeschichte
Schwierigkeiten der Definition
Religion und Weltanschauung
Rechtliche Unterscheidungen zwischen Religion und Weltanschauung
Zur Funktion von Weltanschauungen
Zur Organisation von Weltanschauungen
Beispiele für Weltanschauungen
Abschließende Überlegungen
Erste Begriffsannäherung
Der Begriff „Weltanschauung“ wird in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet, was auch zu einer gewissen Unschärfe in Bezug auf die konkrete Definition führen kann. Hinzu kommt, dass es auch andere Begriffe gibt, wie etwa „Weltbild“ oder „Ideologie“, die auf den ersten Blick sinnverwandt erscheinen und erst bei genauerer Betrachtung eine andere inhaltliche Ausrichtung erkennen lassen. Als eine erste Annäherung wird in diesem Artikel zunächst die Beschreibung von „Weltanschauung“ als einer grundlegenden Daseins- und Lebensorientierung gewählt.
Begriffsgeschichte
Eine erste Verwendung des Begriffs „Weltanschauung“ findet sich beim Philosophen Immanuel Kant (1724–1804). Er verstand ihn als eine Verbindung von Werthaltung und Wissen, und die Weltanschauung beleuchtet nach ihm – im Licht der je eigenen Überzeugung – das umfassende und gleichzeitig auch fehlbare bzw. irrtumsanfällige Wissen über die Welt. Auch der evangelische Theologe Friedrich Schleiermacher (1768–1834) unternahm einen Versuch, den Begriff inhaltlich zu klären. In seinem Verständnis und seiner Beschreibung geht es darum, die Relevanz der christlichen „Weltdeutung“ gegenüber der von den Naturwissenschaften postulierten Objektivität zu betonen.
Im 20. Jahrhundert erfolgte eine weitere inhaltliche Füllung durch den Theologen und Philosophen Wilhelm Dilthey (1833–1911), der die Weltanschauung als Deutung der Welt beschrieb, die auch Lebensprinzipien, Sinn und Ideale umfasst. Im Unterschied zum naturwissenschaftlichen bzw. empirischen „Weltbild“ beansprucht „Weltanschauung“ folglich auch den Aspekt einer ethischen Orientierung für das eigene und individuelle
Handeln und Leben. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Politisierung des Terminus „Weltanschauung“, der vor allem von rechts-konservativen sowie nationalistischen Bewegungen als Gegenbezeichnung zum Begriff „Ideologie“ verwendet und zu einem absolut geltenden und geschlossenen Überzeugungssystem erklärt wurde.
Schwierigkeiten der Definition
Wie bereits erwähnt erweist sich eine klare Definition von „Weltanschauung“ als schwierig, da es sich um einen vielschichtigen Begriff mit verschiedenen Bedeutungen handelt, der auch im Blick auf die historische Entwicklung unterschiedliche Phasen durchlebte. Zudem gibt es eine beträchtliche Anzahl anderer synonym gebrauchter Begriffe, wie etwa „Weltbild“, „Gesinnung“, „Weltsicht“ oder „Ideologie“, die sich nicht immer klar voneinander abgrenzen lassen. „Ideologie“ ist allerdings im Vergleich zu „Weltanschauung“ – zumindest im deutschen Sprachgebrauch – meist negativ konnotiert, etwa bezüglich rassistischer, nationalistischer und fundamentalistischer Ideologien.
Im Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe wird „Weltanschauung“ definiert als „die auf die Totalität des Wirklichen in seiner Bezogenheit auf das letzte Erklärungsprinzip und auf den ‚anschauenden‘ Menschen selbst gerichtete Einstellung, die zu einer das Leben, Handeln und Werten bestimmenden geistigen Haltung wird. Die Weltanschauung stiftet Ordnung in der Wirklichkeit aus einer in sich einheitlichen und die Mannigfaltigkeit der Welt vereinheitlichenden Sicht heraus, so daß die Wirklichkeit als organische Ganzheit erfaßbar wird.“ (Bauer 2001: 352) Hier ist jedoch kritisch anzumerken, dass bei weitem nicht alle Weltanschauungen als „ganzheitlich“ charakterisiert werden können.
Ein weiterer Definitionsversuch (vgl. Baier et al.) betont die Funktion von Weltanschauung im Sinne einer Eröffnung von Deutungsoptionen mit dem Ziel, die Wirklichkeit als Ganzes ordnen zu können. Um den Umgang mit ihrer Komplexität zu ermöglichen, wird dabei die reale Lebenswelt auf einfache Strukturen und Prinzipien reduziert. Ein weiterer Aspekt zielt ab auf die Entfaltung von und Orientierung an Werten, wodurch das Individuum zu einem handlungsfähigen Subjekt werden kann. Voraussetzung dafür ist ein Menschenbild, dessen Verhältnis zur Welt relativ klar bestimmt ist.
Da es neben diesen beiden noch eine Vielzahl weiterer Versuche gibt, den Begriff zu klären, lässt sich zusammenfassend festhalten, dass im Blick auf die konkrete Definition des Begriffs „Weltanschauung“ – ebenso wie beim Begriff „Religion“ – weder eine Einheitlichkeit festzustellen, noch künftig zu erwarten ist.
Religion und Weltanschauung
Ebenso komplex gestaltet sich auch eine klare Unterscheidung zwischen Religionen und Weltanschauungen. Hilfreich kann zunächst eine Differenzierung zwischen religiösen und nicht-religiösen Weltanschauungen sein, wobei neben „Weltanschauung“ auch „Religion“ definiert werden muss, um darauf aufbauend die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Begriffe benennen zu können.
Ein häufig anzutreffendes Merkmal von Weltanschauungen ist eine gewisse Emanzipation des Verständnisses der Welt von religiösen Begrenzungen, oftmals mit dem Fokus auf einer anthropozentrischen und subjektiven bzw. individualisierten Sicht der Welt (vgl. Hempelmann 2008). Es gibt jedoch auch weltanschauliche Bewegungen, die die Wiederherstellung der „Einheit“ von Vernunft und Glaube bzw. Weltbild und Religion zum Ziel haben. Hier ist die Nähe zu Religionen deutlich, die eine umfassende Sinndeutung anbieten und universale Geltung beanspruchen.
Rechtliche Unterscheidungen zwischen Religion und Weltanschauung
Aus rechtlicher Sicht handelt es sich sowohl bei „Religion“ als auch bei „Weltanschauung“ um sogenannte „unbestimmte Gesetzesbegriffe“ (Schima 2020: 31). Es gibt jedoch für beide gewisse Typenelemente, und „Weltanschauung“ wird als Überbegriff von „Religion“ sowie „nichtreligiöser Weltanschauung“, die keine „religiösen Aspekte“ aufweist (z.B. Transzendenzbezug), verwendet. Es wird jedoch deutlich, dass auch diese Umschreibungen und Festlegungen vage bleiben und die Grenzen zwischen nichtreligiösen und religiösen Weltanschauungen – in diesem Sinne verstanden als Religionen – fließend sind.
Zur Funktion von Weltanschauungen
Eine Weltanschauung entwirft einen ganzheitlichen Sinnhorizont, um Alltagserfahrungen bewerten und Lebensentscheidungen begründen zu können. In einer sich stark individualisierenden Gesellschaft lösen sich kulturelle und religiöse Gemeinsamkeiten auf, aber die Fragen bleiben: Wie sind die Welt und das eigene Leben zu deuten?
Weltanschauungen bieten sowohl kollektive als auch individuelle Deutungsweisen an, um die Wirklichkeit umfassen und ganzheitlich ordnen zu können. Dabei wird die Komplexität der erfahrenen Lebenswelt auf einfache Muster reduziert, die dem Menschen einen gewissen Halt bieten und so zur aktiven Handlung in der Welt befähigen. „Die Ganzheit des Kosmos spannt sich auf zwischen dem wahrnehmenden und handlungsfähigen Subjekt und einem letztgültigen Zusammenhang.“ (Baier et al. 2018: 10) Zu betonen ist, dass dieser „letzte Zusammenhang“ auf unterschiedliche Art und Weise gedacht werden kann, etwa als theistischer oder atheistischer Horizont.
Zur Organisation von Weltanschauungen
Jeder Mensch entwickelt einen individuellen Blick auf die Welt und die damit zusammenhängenden Phänomene, der sich aus unterschiedlichen Gründen auch verändern kann. Deshalb ist eine Weltanschauung zunächst im Individuum bzw. im Subjekt zu verorten und muss daher nicht klar geregelt und festgelegt sein. Sobald jedoch eine Vermittlung hin auf andere Individuen oder gesellschaftliche Gruppe erfolgen soll, ist es notwendig, die jeweilige Weltanschauung zu systematisieren, da nur auf diese Art und Weise die Inhalte und Erklärungsmuster ausgetauscht werden können. Das führt in weiterer Folge oftmals auch zur Bildung von Gemeinschaften und Organisationen, die ihre weltanschaulichen Positionen als Gruppen vertreten (vgl. Baier et al. 2018).
Beispiele für Weltanschauungen
Wie bereits deutlich wurde, gibt es viele verschiedene Arten von Weltanschauungen. Neben einer Unterscheidung zwischen religiösen und nicht-religiösen können auch politische Weltanschauungen (z.B. Kommunismus, Liberalismus, Kapitalismus) sowie Weltanschauungen als Formen der Lebenseinstellung (z.B. Vegetarismus, Veganismus) festgestellt werden. Zudem gibt es weitere weltanschauliche Bewegungen, deren Ausrichtung weniger klar definiert werden kann und die aus unterschiedlichen – religiösen sowie nicht-religiösen, politischen und philosophischen – Positionen Aspekte herausgreifen und diese zu einer eigenständigen Form von Weltanschauung entwickeln.
Abschließende Überlegungen
Es ist ein Merkmal einer offenen, pluralistischen und postsäkularen Gesellschaft, dass sie Präsenz, Entwicklung und Entstehung unterschiedlicher religiöser und nicht-religiöser Weltanschauungen zulässt und ermöglicht und diese als Teil der gesellschaftlichen Vielfalt anerkennt. Die Herausforderung besteht darin, mit dieser Vielfalt produktiv und positiv umzugehen und sie nicht als Bedrohung, sondern als Normalität und Bereicherung anzusehen. Wenn auch - bei aller Wertschätzung dieser weltanschaulichen Vielfalt – notwendige Unterscheidungen, Abgrenzungen und Kritik nicht übergangen werden dürfen, bleibt der lebendige Dialog der religiösen und nicht-religiösen Weltanschauungen auf Augenhöhe eine wesentliche Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben.
Literatur
Baatz, Ursula (2017): Spiritualität, Religion und Weltanschauung. Landkarten für systemisches Arbeiten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Baier, Karl / Pokorny, Lukas / Zoehrer, Dominic (2018): Religion - Weltanschauung - Spiritualität. Perspektiven aus der Religionswissenschaft für das Tätigkeitsfeld der Lebens- und Sozialberatung. Wirtschaftskammer Österreich - Fachgruppe Wien Personenberatung und Personenbetreuung.
Bauer, J. Edgar (2001): Art. Weltanschauung. In: Cancik, Hubert / Gladigow, Burkard / Kohl, Karl-Heinz (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Band V. Stuttgart / Berlin / Köln: Kohlhammer. S. 351–354.HrwG
Gerl-Falkowitz, Hanna-Barbara (2009): Art. Weltanschauung. In: Sinabell, Johannes / Baer, Harald / Gasper, Hans / Müller, Joachim (Hg.): Lexikon neureligiöser Bewegungen, esoterischer Gruppen und alternativer Lebenshilfen. Überarbeitete und ergänzte Taschenbuchausgabe. Freiburg im Breisgau: Herder. S. 235–235.
Hempelmann, Reinhard (2008): Art. Weltanschauung. Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW). URL: https://ezw-berlin.de/html/3_180.php (Abrufdatum: 04.08.21)
Mischitz, Wolfgang (2001): Diese Welt ist kein Fetzen Wirklichkeit. Was leistet Weltanschauungsarbeit? In: Holmes-Edinger, Brigitte (Hg.): Neue Wege zum Heil? Die religiöse Frage und die Vielfalt der Antworten. Festschrift für Friederike Valentin. Wien: Referat für Weltanschauungsfragen der Erzdiözese Wien.
Schima, Stefan (2020): Die rechtlichen Voraussetzungen der Ausübung von Religion und Weltanschauung in der Donaumonarchie um 1900. In: Leeb, Rudolf / Schweighofer, Astrid (Hg.): Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion? Religion, Weltanschauung und Moderne in Wien um 1900. (=Wiener Forum für Theologie und Religionswissenschaft. Band 20.) S. 29–58.
von Kutschera, Franz (2000): Die großen Fragen. Philosophisch-theologische Gedanken. Berlin: de Gruyter.
Robert Wurzrainer, 2021