Transhumanismus
Zum Begriff
Streben nach Optimierung
Transformation und Uploading
Religiöse Aspekte des Transhumanismus
Einschätzung
Das Bedürfnis der Menschen, sich selbst und die ihnen von der Natur gegebenen Fähigkeiten zu entfalten und zu verbessern ist kein neues Phänomen. Neu ist jedoch, dass in der Gegenwart die technologischen Möglichkeiten, die für diese Verbesserung verwendet werden können, ausgefeilter und weiter entwickelt sind als jemals zuvor. Von der synthetischen Biologie über die Reproduktionsmedizin bis hin zur Veränderung von Erbanlagen – um nur einige Beispiele zu nennen – findet auf vielfältige Weise ein „Umbau“ des Menschen statt, mit dem etwaige Beeinträchtigungen sowie der körperliche Verfall und Schwächen aufgehoben werden sollen.
Zum Begriff
Der Begriff „Transhumanismus“ wurde erstmals 1957 in einem Werk des Biologen Julian Huxley erwähnt. Er spricht vom Transhumanisten als einem „Mensch, der Mensch bleibt, aber sich selbst, durch Verwirklichung neuer Möglichkeiten von seiner und für seine menschliche Natur, überwindet.“
Der zeitgenössische, postmoderne Transhumanismus kann als eine philosophische und weltanschauliche Strömung bezeichnet werden, die sich mit den Fragen nach den Grenzen des menschlichen Lebens und der Überwindung eben dieser Grenzen befasst. Der Transhumanismus versteht sich somit als Möglichkeit, auf die Fragen der naturwissenschaftlichen und insbesondere der medizinischen und technologischen Entwicklungen und Errungenschaften der letzten Jahrzehnte eine Antwort zu geben und diese in Bezug auf das menschliche Leben und den Menschen an sich weiterzuführen. Dabei geht es um konkrete Maßnahmen, wie etwa aus der Nanotechnik, den Neurowissenschaften, der Pharmazie sowie der Kybernetik zur Erweiterung und Verbesserung aller menschlicher Möglichkeiten, sei sie intellektueller, physischer, psychischer oder mentaler Natur. Transhumanist:innen sehen sich in der Tradition des Humanismus und der Aufklärung und fördern alle Wissenschaften, die den Menschen klüger, gesünder, glücklicher und stärker machen können.
Streben nach Optimierung
Die Bezeichnung „Human Enhancement“ wird in der internationalen bioethischen Diskussion als Oberbegriff verwendet, um unterschiedliche technologische Optionen zur Verbesserung des menschlichen Körpers zu beschreiben. Damit sind also therapeutisch bzw. medizinisch nicht indizierte Bemühungen gemeint, den Menschen und seine gegebenen körperlichen, geistigen und emotionalen Fähigkeiten, sein Aussehen und seine Intelligenz durch medizinisch-technische, biotechnologische oder pharmakologische Eingriffe zu optimieren. Das Spektrum der Wege, auf denen dies geschehen soll, ist sehr breit und reicht von Anti-Aging durch die Verwendung von hautstraffenden Präparaten über schönheitschirurgische Eingriffe bis hin zur Idee, Verbindungen zwischen dem menschlichen Gehirn und Maschinen zu erschaffen, um somit den Weg für die Entstehung und Entwicklung von sogenannten Cyborgs, also Mensch-Maschinen-Mischwesen, zu ebnen. Transhumane Enhancement-Technologien zielen somit auf eine Erweiterung des menschlichen Möglichkeitsraumes, und gerade darin liegt auch das utopische Moment dieses Strebens: Das bislang körperlich Unmögliche soll durch Technologie und Weiterentwicklung in Zukunft möglich sein.
Folgt man einem der Hauptvertreter und Vordenker des Transhumanismus, dem amerikanischen Futuristen und „Director of Engineering“ bei Google, Ray Kurzweil, dann muss man sich mit der Optimierung jedoch nicht begnügen. Das Ziel ist folgenreicher: Angestrebt wird die Erschaffung eines neuen, nicht-biologischen Menschen, in dessen Leben, so Kurzweil, Tod und Trauer, Freiheit und Ewigkeit einen „unwiderruflichen Wandel“ erfahren. Das Ziel ist eine Menschheit, die den Einzelnen biologisch wie technisch immer weiter verbessert, bis der Mensch die nächste evolutionäre Stufe erreicht, auf welcher er kein Mensch im Sinne seines heutigen biologischen Entwicklungsstandes mehr wäre. Somit wäre der Mensch nicht mehr die Endstufe der Evolution resp. die Krone der Schöpfung, der nur versucht seine eigene Natur zu optimieren, sondern er wäre nur ein bestimmter Zustand im Verlauf einer übergreifenden evolutionären Entwicklung, die über dem Menschen hinaus zu etwas Neuem führt. Das „Mängelwesen“ Mensch soll biologisch und technisch weiter „verbessert“ werden, bis es die nächste evolutionäre Stufe erreicht und eine perfekte Mensch-Maschine wird, die ohne Pausen, Schlaf oder Nahrung auskommt.
Transformation und Uploading
Ein weiterer Aspekt des Transhumanismus ist das sogenannte „Uploading“. Während zum Beispiel Genmanipulationen oder auch die Entwicklung von Cyborgs einen stufenweisen Prozess voraussetzen, wird hier von einem sprunghaften Übergang vom „normalen“ Menschen zum „neuen“ Menschen durch die Digitalisierung des menschlichen Bewusstseins ausgegangen. Auch Kurzweil spricht in seinem Werk ausführlich darüber: Um unser Denken zu scannen, werden Nanoroboter ins Gehirn geschleust, um das so eingefangene Bewusstsein auf einen Computer zu speichern. Zudem kann dies dann immer wieder zu einer anderen Mensch-Maschine transformiert werden, da sich das Gehirn „letztlich als austauschbare Hardware für die Software des Bewusstseins beschreiben lässt.“ (Dickel 2016: 19). So könnte man etwa „Unsterblichkeit“ erreichen, indem dieses Bewusstsein von einem Klon auf einen anderen Klon übertragen wird. Mit dem Ablegen seiner biologischen Existenz wird dem Menschen somit eine Art Unsterblichkeit zuteil, die nach Kurzweil in gewisser Weise mit dem „ewigen Leben“ gleichzusetzen ist. Kurzweil spricht hier von „technologischer Singularität“, und ab 2045 soll dieser Vorgang des Uploadings seiner Meinung nach möglich sein — auch wenn die grundsätzliche Realisierbarkeit des Uploading von vielen Forscher:innen als nicht realisierbares Wunschdenken bezeichnet wird.
Religiöse Aspekte des Transhumanismus
Kurzweil sieht in der technischen Singularität eine Befreiung von den engen Beschränkungen dieser Existenz und ein „spirituelles Unternehmen“, das eine neue Religion zum Inhalt hat. Sie weist den Weg in ein ewiges Leben jenseits des biologischen Daseins, das nicht Gott, sondern der Mensch selbst zu verantworten hat. Hier kommt der Mensch nicht mehr als endliches Geschöpf in den Blick, seine Bezogenheit auf Gott geht verloren. Sinn und Zweck des Lebens ist es nun, dass der Mensch sich über seine Natur erhebt und irgendwann einmal göttlich wird (vgl. Kurzweil 2014). Ähnlich wie Kurzweil denkt auch Anthony Levandowski, ein Pionier im Bereich selbstfahrender Autos: Er hat im Jahr 2015 mit „Way of the Future" eine religiöse Bewegung gegründet deren Absicht es ist, eine Gottheit zu entwickeln und anzubeten, die auf künstlicher Intelligenz basiert.
Einschätzung
In religiöser Hinsicht platziert der Transhumanismus den Menschen als Gegenkonzept zum Gottesglauben und damit auch an die Stelle eines Schöpfers und allmächtigen Handelnden. Hier besteht die Gefahr der Entwicklung von Allmachtsphantasien, die rasch auch eine Rangfolge und eine Selektion zur Folge haben können. Wenn es keinen Gott gibt, dann ist der Mensch zwar scheinbar keinerlei „Aufsicht“ unterworfen, aber auch völlig auf sich allein gestellt.
Ein zentraler Kritikpunkt am Transhumanismus ist zudem, dass innerhalb des Transhumanismus auf technologische Entwicklungen und Neuerungen gesetzt wird, ohne die ethischen Fragestellungen und Aspekte, die in diesem Zusammenhang auftreten, gebührend zu berücksichtigen.
Was auch immer von den Ideen und Vorstellungen des Transhumanismus gehalten werden mag, ob sie für machbar oder unmöglich, für erstrebenswert oder vermeidenswert angesehen werden, fest steht in jedem Fall, dass es sich bei diesem Phänomen um einen Gegenstand innerhalb eines Diskurses unserer Gegenwartskultur handelt, der wohl auch in Zukunft für Kontroversen sorgen wird und dessen weitere Entwicklung nur schwer vorauszusehen ist.
Literatur
S. Dickel, Der neue Mensch – ein (technik)utopisches Upgrade. Der Traum vom Human Enhancement, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 37–38 / 2016, S. 16–21.
G. Franck et al., Wider den Transhumanismus, in: Neue Zürcher Zeitung vom 19.6.2017; URL: www.nzz.ch/meinung/kommentare/die-gefaehrliche-utopie-der-selbstoptimierung-wider-den-transhumanismus-ld.1301315 (Abrufdatum: 07.08.2018)
B.P. Göcke / F. Meier-Hamidi (Hg.), Designobjekt Mensch - Die Agenda des Transhumanismus auf dem Prüfstand, Freiburg/Breisgau 2018;
R. Kurzweil, Menschheit 2.0 - Die Singularität naht, Berlin 2014;
M. More / N. Vita-More (Hg.), The Transhumanist Reader - Classical and Contemporary Essays on the Science, Technology, and Philosophy of the Human Future, Hoboken 2013;
M. O’Connell: Unsterblich sein - Reise in die Zukunft des Menschen, München 2017;
R. Ranisch / S.L. Sorgner (Hg.), Post- and Transhumanism - An Introduction, Frankfurt/Main 2014.
Stefan Lorger-Rauwolf & Robert Wurzrainer, 2018/2023