Esoterik
Zum Begriff
Quellen zeitgenössischer Esoterik
Merkmale zeitgenössischer Esoterik
Esoterik und Therapie
Esoterik und Religion
Einschätzung und Anfragen
Zum Begriff
Der Begriff Esoterik stammt vom griechischen Begriff „esoterikós“ ab und bedeutet „zum inneren Kreis gehörig“. Dies trifft vor allem auf die sogenannte „klassische“ Esoterik zu, zu der unter anderem die Mysterienkulte der Antike, die Hermetik, die Kabbala und die Alchemie gezählt werden. Diese esoterischen Systeme basierten auf Geheim- und Insiderwissen, welches nur für ausgewählte Personen zugänglich war. Auf die gegenwärtige, zeitgenössische Esoterik trifft diese Beschreibung als Geheimlehre jedoch nicht mehr zu, da diese sich dadurch auszeichnet, dass das vormals elitäre Wissen nun zu einem Großteil öffentlich zugänglich ist und der Nachfrage entsprechend auch kommerzialisiert wurde.
Die Wurzeln der heutigen Form der Esoterik liegen zu einem Großteil in der New-Age-Bewegung der 1960er bis 1980er Jahre. Was heute als moderne Esoterik bezeichnet wird, umfasst unterschiedlichste Themen und Praktiken und kann, ebenso wie New Age, weder als eine abgrenzbare Gemeinschaft noch als eine zusammenhängende Lehre bezeichnet werden. Die Bandbreite ist enorm und reicht vom Pendeln und dem Legen von Tarotkarten über I Ging hin zur Kraft von Heilsteinen oder Bachblüten bis hin zu esoterischen Heilungsmethoden wie Prana-Healing und Reiki hin zu Channeling und Rückführungen. Die moderne Esoterik gibt sich zudem auch als literarisches Phänomen zu erkennen, dass sich zwischen Unterhaltung und Lebenshilfe bewegt.
Quellen zeitgenössischer Esoterik
Es lassen sich einige grundlegende Quellen unterscheiden, aus denen im Bereich der zeitgenössischen Esoterik und der damit verbundenen Praktiken geschöpft wird, und welche für die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten und verändert werden:
- Methoden aus der Psychotherapie, der Humanistischen Psychologie, der Körpertherapie, der Hypnose- und Kurztherapie und aus der Gruppendynamik
- Methoden aus der westlichen Alternativmedizin (z.B. Positives Denken, Neurolinguistisches Programmieren, Kinesiologie, Bachblüten, Edelstein-Therapie, Fußreflexzonen-Massage, Pendeln, Wünschelruten, Erdstrahlen-Abschirmung)
- Methoden der traditionellen östlichen Medizin (z.B. Ayurveda aus Indien, Tibetische Medizin oder Traditionelle Chinesische Medizin mit Akupunktur und Tai Chi)
- Methoden des westlichen Okkultismus, vor allem des Spiritismus, der Trance-Techniken, des Channelings und des sogenannten Geistheilens
- Methoden der Astrologie (z.B. Erstellen von Horoskopen, Hellsehen)
- Meditations- und Ekstase-Techniken sowie Heilungsritualen aus östlichen Religionen (z.B. Yoga oder Transzendentale Meditation)
- Methoden aus den sogenannten Naturreligionen, wie zum Beispiel der Schamanismus aus Sibirien, das Medizinrad aus der Indianer-Spiritualität oder die Schwitzhütten der Pueblo-Indianer
Weitere grundlegende Aspekte innerhalb der esoterischen Szene sind unter den Begriffen Bewusstseinswandel, Ganzheitlichkeit und Spiritualität zu verorten.
Merkmale zeitgenössischer Esoterik
In Bezug auf die Erkenntnisauffassung lebt die Esoterik von einem uneingeschränkten, nicht hinterfragten Vertrauen auf die angeblich unmittelbare Erfahrung geistlicher Wesen und verborgener Kräfte durch Offenbarungserkenntnisse, etwa durch Intuitionen, Inspirationen oder Aura-Sehen.
Diese höhere Erkenntnis ist dem begrifflichen, analysierenden und argumentierenden Denken überlegen und bedarf keiner kritischen Überprüfung. Zu dieser Erkenntnis kommt man durch alte und geheime Überlieferungen, Offenbarungserlebnisse großer Medien, spiritistische Kontakte oder die symbolische Deutung von Gestirnen (Astrologie), Handlinien, Kartenbildern u.a.
Im Blick auf das Wirklichkeitsverständnis plädiert die Esoterik tendenziell für einen panenergetischen und pantheistischen Monismus im Sinne von „Alles ist Energie, in unterschiedlicher Schwingungsform – zwischen grobstofflichem Leib, dem Geist-Ich des Menschen und einer astral-ätherischen sowie göttlichen Komponente“. In den vielfältigen esoterischen Therapieformen wird versucht, diese feinstoffliche und universale Lebensenergie therapeutisch einzusetzen.
Damit verbunden ist ein unpersönliches und ungeschichtliches Gottesbild, man spricht hier vielmehr von kosmischen Bewusstsein, vom Urgrund des Geistes, von Lichtenergie usw. Dieses Gottesbild findet Gott somit prinzipiell schon in der Welt und weiß ihn im Inneren des Menschen präsent. Das Bewusstsein des Menschen wird als Tropfen oder Funke des Göttlichen betrachtet. Es geht nun aus dieser Perspektive darum, eben dieses Bewusstsein zu entwickeln, um das Göttliche in sich ganz zu finden. Diese Entwicklung kann auch über mehrere Leben hinweg geschehen (vgl. dazu den Artikel Reinkarnation).
Esoterik und Therapie
Gefragt sind im Bereich der Esoterik vor allem Heilungspraktiken und magische Techniken für die individuelle Lebensbewältigung und Lebenshilfe. Sehr oft führen der Leidensdruck einer Krankheit oder eine Enttäuschung über eine nicht befriedigende ärzltiche Behandlung zum Einstieg in eine alternative, esoterische Behandlungsform.
Die Erfahrung zeigt, dass die Zufriedenheit der Klienten sehr hoch ist. Ein Grund dafür ist die Verbindung von Behandlung und Sinnangebot. Die Menschen suchen Lebenshilfe und Sinn aus einer Hand, und wer dieser Sehnsucht entgegenkommt, der findet somit auch Zustimmung. Auf Grund der hohen Nachfrage nach diesen und ähnlichen Angeboten wurde die Esoterik zu einem beachtlichen Geschäftszweig, mit entsprechender (Ratgeber)Literatur und Zeitschriften sowie in Gestalt von Esoterikmessen und Lebenshilfeangeboten.
Esoterik und Religion
Die Esoterik erscheint somit, zusammenfassend gesagt, als universalreligiöse Bewegung, die für sich beansprucht, über den traditionellen Religionen zu stehen bzw. diese auf einer neuen Ebene zusammenzufassen. Eine Öffnung hin zu Praktiken und Ansichten, die aus anderen religiösen Traditionen stammen, kann eine gewisse Form von „spiritueller Mehrsprachigkeit“ lehren und somit auch den eigenen Glauben bereichern, ebenso kann dadurch aber auch eine Entfremdung von der eigenen religiösen Tradition verursacht werden.
Innerhalb der Esoterik-Szene sind anti-kirchliche Reflexe und Vorurteile weit verbreitet, und die christliche Position wird oftmals als „verkopft“ und „dogmatisch“ bezeichnet. Trotzdem ist auch innerhalb der Esoterik-Szene eine Faszination bezüglich gewisser Elemente des christlichen Glaubens sowie auch der kirchlichen Traditionen feststellbar.
Einschätzung und Anfragen
Es kann aus heutiger Perspektive jedenfalls festgestellt werden, dass esoterische Themen inzwischen ihrem ursprünglichen subkulturellen Nischendasein entwachsen sind und sich zu einem gesellschaftlich-kulturellen Faktor in der modernen Erlebnis- und Wohlfühlwelt entwickelt haben.
Um ein differenziertes Bild von den Chancen, Grenzen und Risiken von Esoterikangeboten zu gewinnen, sollte man sie nach den gleichen Kriterien beurteilen wie nicht-esoterische Verfahren und folgende Fragen stellen: Gibt es Wirksamkeitsnachweise für eine Methode, die auch durch Blindversuche bestätigt wurden? Kann man das Verfahren in eine wissenschaftlich plausible Theorie einordnen? Besteht die Gefahr, Klient:innen von einer notwendigen medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlung abzuhalten? Entstehen bei der Anwendung für die Klient:innen Gefahren? Werden sie durch überteuerte Honorare finanziell ausgebeutet?
Aus theologischer Perspektive wird zudem zwischen Heilung und Heil unterschieden. Die Mitarbeiterschaft des Menschen und das Tun Gottes lassen sich somit nicht zu einer Therapiemethode verbinden. Die Hilfe Gottes ist nicht verfügbar, sie kann nach christlicher Auffassung vielmehr nur erbeten werden. Somit kann man als "fachlicher Helfer" im Auftrag Gottes handeln, man kann auch mit Gottes Hilfe rechnen, aber man kann Gott nicht therapeutisch benutzen.
Es gilt zudem kritisch zu hinterfragen, inwieweit innerhalb der Esoterik für komplexe Sachverhalte vereinfachende Erklärungsmuster angeboten werden, die zudem die Selbstverantwortung des Individuums als Teil des „Ganzen“ zurückstellen. Und abschließend bleibt auch noch folgende Frage offen, obwohl in der Esoterik viel vom Göttlichen in Form von Energie und Licht die Rede ist: Soll nicht schlussendlich vielleicht doch der Mensch das Höchste Wesen sein - und es vor allem auch bleiben?
Literatur
B. Grom, Art. Esoterik, in: J. Sinabell et al. (Hg.): Lexikon neureligiöser Bewegungen, esoterischer Gruppen und alternativer Lebenshilfen, überarb. und erg. Taschenbuchausgabe, Freiburg 2009, S. 63-66;
M. Hochholzer (2016): Kirche und Esoterik – katholische Perspektiven, in: K. Funkschmidt (Hg.), Esoterik in der Kirche, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, EZW-Texte 244, 2016, S. 42-59;
H. G. Hödl, Alternative Formen des Religiösen, in: J. Figl (Hg.), Handbuch Religionswissenschaft, Religionen und ihre zentralen Themen, Innsbruck / Wien 2003, S. 485-524;
F. Höllinger / T. Tripold, Ganzheitliches Leben - das holistische Milieu zwischen neuer Spiritualität und postmoderner Wellness-Kultur (= Kulturen der Gesellschaft 5), Bielefeld 2012;
M. Pöhlmann, Esoterik, in: Kompakt-Infos der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen 2011;
H. Zinser, Esoterik - eine Einführung, München 2009.
Stefan Lorger-Rauwolf & Robert Wurzrainer, 2018/2023