Schlaglichter auf aktuelle verschwörungstheoretische Deutungen im Blick auf Covid-19
Der Ausbruch und die rasante Verbreitung von COVID-19 ist eine große Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Die Auswirkungen auf das alltägliche Leben sind massiv und umfassend, und weltweit suchen Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen nach Antworten auf die Fragen nach dem Ursprung des Erregers, seiner Verbreitung sowie nach einem möglichen Schutz davor und Heilung davon.
Auch in alltäglichen Gesprächen sowie in den sozialen Medien sind diese Fragen zur Zeit ein dominierendes und aktuelles Thema. Neben gut begründeten Thesen und Überlegungen werden hierbei auch immer wieder Meinungen vertreten, die unter die Bezeichnungen Verschwörungstheorie oder Fake-News fallen. Diese Informationen werden häufig auch durch Kettenbriefe (Hoaxes) in sozialen Medien weiterverbreitet.
Was sind Verschwörungstheorien?
Kurz zusammengefasst sind Verschwörungstheorien Erklärungen komplexer Ereignisse oder Zusammenhänge, die keiner rationalen oder empirisch-wissenschaftlichen Überprüfung standhalten, und nach Meinung der Anhänger*innen müssen sie es auch gar nicht. Sie halten nämlich auch dann an ihren Theorien und Erklärungsmodellen fest, wenn Argumente, Fakten oder Beweise dagegen sprechen. Diese werden dann zumeist entweder ignoriert oder als bewusste Desinformation der angenommenen Verursacher*innen bzw. Drahtzieher*innen der jeweiligen Verschwörung gewertet. Die Abgrenzung gegen andere Meinungen und die Immunität gegen jede Form von Hinterfragung und Kritik kann zur Verfestigung des verschwörungsideologischen Gedankengebäudes hin zu einem geschlossenen Weltbild führen. Eine derartige Sichtweise lässt sich kaum mehr widerlegen oder aufbrechen.
Im Blick auf die Informationen, die man zu einem bestimmten Sachverhalt bekommen kann, werden von den Anhänger*innen von Verschwörungstheorien den öffentlich-rechtlichen Medien – oftmals als "Lügenmedien" bezeichnet – sogenannte alternative Medien gegenübergestellt. In diesen werden die offiziellen Fakten, wie sie etwa Behörden oder die Wissenschaft weitergeben, durch alternative Fakten konterkariert. Diese alternativen Fakten sollen, nach Meinung der Verschwörungstheoretiker*innen, nun das bekannt machen, was die Behörden und die geheimen Mächte, die das große und kleine Geschehen der Welt lenken, eigentlich vorhaben und durchführen. Zum Wesen von Verschwörungstheorien gehört zudem, dass oftmals korrekte und sachlich richtige Informationen und Einschätzungen mit verschwörungstheoretischen Positionen vermischt werden.
Beispiele für Verschwörungstheorien im Blick auf COVID-19
Aus einer verschwörungstheoretischen Perspektive kann der Erreger SARS-CoV-2 eine Schöpfung der Pharmaindustrie sein, die einen Impfstoff teuer verkaufen will. Es gibt auch die Vorstellung, dass der Umgang mit der Krise selbst nach einem geheimen Drehbuch verlaufe, das darauf hinauslaufe, dass am Ende die großen Finanzfirmen noch mehr Geld haben (Stichwort „Umverteilung von unten nach oben“). Wieder andere verkünden, dass die Behördenmaßnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung des Virus einzig und allein dem Zweck dienen, alle Grundrechte auf Dauer außer Kraft zu setzen. In die gleiche Kategorie gehören aber auch Verhaltensregeln, die zum Schutz vor oder dem Umgang mit der Krankheit – vornehmlich über soziale Medien – verbreitet und geteilt werden. Das können z.B. Zahlen oder Symbole sein, deren „Informationen“ und Schwingungen die Infektion verhindern sollen. Oder es werden sogenannte alternative Mittel, wie z.B. MMS (Chlorbleiche) gegen Covid-19 angeboten.
Über Ursache und Entstehen von COVID-19 gibt es neben den wissenschaftlichen Erklärungen nicht nur verschwörungstheoretische Begründungen. Über den möglichen Sinn und die „Aufgabe“ der Erkrankung und den damit einhergehenden Maßnahmen gibt es nämlich auch religiös-weltanschaulich geprägte Erläuterungen.
Von manchen eher konservativen katholischen Gruppen und ihren Vertreter*innen wird darauf verwiesen, dass COVID-19 einen sühnenden und erzieherischen Charakter habe. „Man kann diese Situation als göttliches Eingreifen in die gegenwärtige beispiellose Krise der Kirche ansehen.“1(Weibischof Athanasius Schneider) Dieser Gedanke wird verbunden mit Erklärungen, worüber Gott zum Nachdenken zwingt. Pater Franz Schmidberger FSSPX, ehemaliger Generaloberer der Priesterbruderschaft Pius X. schreibt dazu u.a.: „Die verrückte Globalisierung ist durch die Grenzschließungen in Frage gestellt, die ausufernde Vergnügungssucht ist mit einem Schlag wenigstens vorübergehend beendet. Der Hochmut der Menschen ist erniedrigt, die materielle Gier für den Augenblick ertötet. Niemand spricht mehr vom Synodalen Weg, das Priestertum der Frau – diese Blasphemie der Stiftung Jesu Christi – erübrigt sich beim Verbot von öffentlichen Gottesdiensten. Die Mütter bleiben zu Hause bei ihren Kindern, und Greta Thunberg ist fast vergessen. Gott rächt seine Ehre gegenüber einem Menschen, der versucht hat, sich durch Technik und Wissenschaft an seine Stelle zu setzen.“2 Die behördlichen und kirchlichen Maßnahmen, werden als „Hygienediktatur“ (Weihbischof Schneider) bezeichnet und in Verbindung gebracht mit der Zeit der frühchristlichen Christenverfolgung.
An anderer Stelle spricht der grafisch dargestellte Erreger höchstpersönlich über Video. Dort teilt er der Menschheit mit, dass er es schlicht und ergreifend leid war zu sehen, wie wir Menschen leben, handeln und mit uns und der Welt umgehen. Daher habe er den Ablauf der Welt und unseres alltäglichen Lebens, so wie wir ihn kennen, unterbrochen. Diese Anklage unterscheidet sich nicht allzu sehr von jener der oben genannten Gruppen, aber die Schlüsse sind gänzlich andere: Hier geht es darum, bessere Menschen zu sein.
Für andere, wie etwa Jehovas Zeugen, ist das Ausbrechen der Pandemie nur ein weiteres Zeichen der anbrechenden Endzeit. Von leitenden Personen wird ihnen zwar empfohlen, sich an die medizinischen und behördlichen Empfehlungen zu halten. Durch das Ereignis müssen sie sich aber nicht weiter stören lassen, da Derartiges zum nahenden Ende der Welt dazugehört, wie es Jehovas Zeugen erwarten.3
Die Bedeutung von Verschwörungstheorien
Gesellschaftlich betrachtet bieten große Veränderungen, Umbrüche und Krisen für die Entstehung und Verbreitung von Verschwörungstheorien einen idealen Nährboden. Agitator*innen finden hier Angriffsflächen, um mit dem Unbehagen der Bevölkerung zu spielen und „Sündenböcke“ für die jeweilige Misere zu identifizieren. Verschwörungstheorien ordnen vielschichtige, komplexe und schwer durchschaubare gesellschaftliche, politische, ökonomische und historische Ereignisse und bringen Widersprüchliches sowie eigentlich Zusammenhangloses in einen Sinnzusammenhang – allerdings um den Preis einer unzulässigen Vereinfachung. Eine Erklärung dafür, dass Corona mit Verschwörungstheorien einhergeht, ist, dass es manchen Menschen schwer fällt anzuerkennen, dass eine weltweite Pandemie und die weitreichenden gesellschaftlichen Folgen ihren Grund in etwas anscheinend so Banalem haben wie der Übertragung eines Erregers von einem Tier auf einen Menschen.
Umgang mit Verschwörungstheorien
Erfahrungsgemäß ist es sehr schwer – und bei geschlossenen Verschwörungstheorie-Weltbildern nahezu unmöglich –, Verschwörungstheorien mit Fakten zu widerlegen. Anhänger*innen von Verschwörungstheorien neigen dazu, Wissenslücken der Diskussionspartner*innen ihrer Ideologie entsprechend zu füllen oder andere Meinungen als „feindgesteuert“ zu interpretieren. Daher ist es meist zielführender, mit konkreten Fragen und alternativen Erklärungen Zweifel zu wecken, scheinbar unumstößliche „Wahrheiten“ ins Wanken zu bringen und so den Pluralismus von Meinungen zu fördern.
Für die persönliche Auseinandersetzung gilt, dass Verschwörungstheorien und sogenannten „alternativen Wahrheiten“ grundsätzlich mit der gleichen kritischen Haltung zu begegnen ist wie der allgemein gültigen „Mehrheitsmeinung“. Ebenso sollte man sich im eigenen Weltbild vor scharf abgrenzenden Dualismen – z.B. Gut gegen Böse, Klugheit gegen verrücktes Denken von Verschwörungstheoretiker*innen – hüten. Für den persönlichen Umgang mit Informationen und Erklärungen ist es sinnvoll und notwendig das zu tun, was man auch vor einer schweren Operation oder anspruchsvollen medizinischen Behandlungen macht – man holt mindestens eine Zweitmeinung ein. Es gibt Medien und Plattformen (siehe Links), die Informationen zum Thema Corona prüfen und helfen können, eine eigene, gut überlegte Meinung zu entwickeln. Beachten Sie dabei, dass täglich neue Erkenntnisse gewonnen und publiziert werden. Leben Sie auch in diesen herausfordernden Zeiten nach dem Motto „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser!“