Atheismus
Der "neue Atheismus"
Agnostizismus
Ausblick
DEN Atheismus gibt es genauso wenig wie DIE Religion. Atheismus ist keine geschlossene, einheitliche Position, sondern ein Phänomen mit vielen verschiedenen Facetten. Man unterscheidet zwischen dem praktischen und dem theoretischen Atheismus: Praktische AtheistInnen sind Menschen, in deren konkreter Lebensgestaltung Gott keine Rolle spielt, während theoretische AtheistInnen auch in der Reflexion von seiner Nichtexistenz ausgehen.
Der neuzeitliche Atheismus erwuchs aus der Religionskritik der Aufklärung. Ludwig Feuerbach sah Gott als Spiegel des Menschen und seines Potentials, für Karl Marx entspringt die Religion als illusionärer Trost dem gesellschaftlichen Elend, und Friedrich Nietzsche verkündete den Tod Gottes, für ihn ist Religion gegen die Entfaltung des Menschen gerichtet. Aufbauend auf diesen Positionen war der Weg für einen exklusiven materialistischen Naturalismus bereitet, wo nur mehr das naturwissenschaftlich Erklärbare als real anerkannt wird.
Der „neue Atheismus“
Im „neuen Atheismus“, der etwa seit der Jahrtausendwende von sich reden macht, sind weniger die vorgebrachten Argumente wirklich neu. Neu ist vielmehr, dass man laut und um Aufmerksamkeit bemüht, geradezu mit missionarischem Eifer und zunehmend aggressiv in Erscheinung tritt. Seine bekanntesten Protagonisten sind „The Four Horsemen“ – so genannt in Anklang an die vier apokalyptischen Reiter – Richard Dawkins, Christopher Hitchens, Sam Harris und Daniel Dennett. Es geht dem „neuen Atheismus“, der eine Form des theoretischen Atheismus darstellt, um einen offensiven Kampf gegen die Religionsgemeinschaften – man glaubt an das baldige Ende der Religionen und setzt alles daran, Gottgläubige der Lächerlichkeit preiszugeben.
Darüber hinaus ist die Tendenz zu beobachten, sich in einem organisierten Verbund atheistischer Aktivitäten zusammenzuschließen. Was die Szenen der organisierten Atheisten in Österreich und Deutschland betrifft, so informiert darüber dieser Text der Arbeitsgemeinschaft der WeltanschauungsreferentInnen in Österreich.
Ausgangspunkt des neuen Atheismus ist dabei weniger die philosophische Reflexion als der naturalistische Ansatz. Ihm liegt ein Weltbild zugrunde, das an den Erklärungsmethoden der
Naturwissenschaft orientiert ist. Wenn sich eine Sache nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden empirisch belegen lässt, wird sie nicht anerkannt. Einzig aufgrund ihrer wissenschaftlichen Begründbarkeit soll und will man den Anspruch ihrer „Wirklichkeit“ bzw. „Wahrheit“ erheben. Das hingegen lässt sich selbst nicht empirisch-naturwissenschaftlich beweisen und muss als Grundannahme ("Axiom") akzeptiert werden.
Auf der Basis seines solchen Naturalismus steht natürlich fest, dass die Existenz eines „höheren Wesens“ (Gottes) nicht bewiesen werden kann. Wenn aber Religionen ständig über etwas nicht Beweisbares reden, ist das ein Wahn, ein „Gotteswahn“ – so der Titel des Hauptwerkes von Richard Dawkins, einem der bekanntesten Vertreter des „neuen Atheismus“.
Für ChristInnen hingegen stellt die naturwissenschaftlich beschreibbare Materie nur einen Teil der Realität dar und gründet in der Transzendenz, letztlich in Gott. Nicht nur sachlich, sondern auch erkenntnistheoretisch steht diese Position der naturalistischen konträr gegenüber, da ihr Anspruch der Wirklichkeit / Wahrheit Gottes nicht mit empirischen Methoden erreichbar ist. In diesem Sinn können Theisten nicht beweisen, dass es Gott gibt. Sie können aber Argumente aufzeigen, die den Glauben an Gott zu einer vernünftigen Option machen.
Agnostizismus
Aus der Sicht des Agnostizismus fehlt die Möglichkeit, in der Gottesfrage zu seiner sicheren Erkenntnis zu gelangen, und so bleibt er darin unentschieden. Im konkreten Leben tendieren Agnostiker freilich zum oben bereits genannten praktischen Atheismus. Sie verneinen die Existenz Gottes nicht, aber für ihr Tun und Lassen ist es irrelevant, ob Gott existiert. Für viele ist ein Leben ohne Gott und ohne kirchliche Praxis eine mögliche Variante: „es geht auch ohne“, denn dieses „ohne“ ist für sie mit keinem Defizit verbunden. Ihr Leben wird im Zeichen der Humanität und Menschlichkeit geführt und findet seine Norm u.a. in der sogenannten Goldenen Regel, im Kant’schen Imperativ oder auch in der zukunftsorientierten Maxime „Handle so, dass das Überleben der Welt gewährleistet bleibt und die Zukunft der Kinder gesichert ist“. Auf eine umfassende Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens wird verzichtet.
Ausblick
Bisher mussten ChristInnen lernen, mit anderen Religionen sowie mit konkurrierenden religiösen Bewegungen und Strömungen zu leben. Künftig wird auch verstärkt die Auseinandersetzung mit nicht-religiösen Überzeugungen – bis hin zu atheistischen Grundeinstellungen – dazukommen, wobei die größte Herausforderung diesbezüglich wohl die religiös Desinteressierten sein werden.
Literatur
G. Lohfink, Der neue Atheismus. Eine kritische Auseinandersetzung, Stuttgart 2015;
W. Klausnitzer / B. E. Koziel, Atheismus – in neuer Gestalt? Frankfurt am Main 2012;
Referat für Weltanschauungsfragen (Hg.), Atheismus. Facetten einer Weltanschauung (= Weltanschauungen – Texte zur religiösen Vielfalt Nr. 101), Wien 2013;
R. Hempelmann, Atheismus, 2009. Abrufbar unter https://www.ezw-berlin.de/html/3_170.php [10.05.21]
Martin Pezzei / Bernhard Wenisch, 2021