Das Projekt „Der perfekte Mensch“ steht im Mittelpunkt des aktuellen Arbeitsjahres der diözesanen Weltanschauungsreferent:innen Österreichs und besteht aus unterschiedlichen Impulsen, Initiativen und Kooperationen.
Ab Februar 2025 wenden wir uns an alle Schüler:innen ab 14 Jahren mit der Frage „Bist du perfekt?“. Mit dieser provokanten, vielleicht auch irritierenden Formulierung laden wir in einem ersten Schritt dazu ein, die je eigene(n) Vorstellung(en) zum Begriff „perfekt“ zu visualisieren. Diese Initiative wird im Informationsblatt „Bist du perfekt?“ vorgestellt, das zugleich unsere Einladung an alle Religionslehrer:innen ist, unser Projekt ab dem Sommersemester 2025 mitzutragen.
Wie kam es zum Projekt „Der perfekte Mensch“?
Im Juni 2023 habe ich mit einer vierten Klasse den Schulschlussgottesdienst vorbereitet. Dieser stand unter dem Thema „Die Akkus wieder aufladen“. Ich habe dazu mit den Schüler:innen gesammelt, was sie im vergangenen Schuljahr Energie gekostet habe. Auf einem der abgegebenen Zettel stand zu lesen: „Der ständige Druck, perfekt sein zu müssen“. Diese Aussage war die Initialzündung für das Projekt.
Wie sieht der perfekte Mensch aus?
Der perfekte Mensch ist eine Illusion. Ich kenne – Gott sei Dank – keinen einzigen perfekten Menschen. Im Gegenteil: Unzulänglichkeiten und vielleicht auch die eine oder andere Macke gehören zu unserer Einmaligkeit dazu.
Warum dann der Titel für dieses Projekt?
Sowohl der Projekttitel „Der perfekte Mensch“ als auch die Initiative „Bist du perfekt?“ wollen neugierig machen, die Leser:innen direkt ansprechen und so zur persönlichen Stellungnahme herausfordern.
Ebenso möchte die dazugehörige Karikatur mitsamt ihren Details und in ihrer Überzeichnung die/den Betrachter:in zum Nachdenken anregen.
Wie gehen das christliche Menschenbild und Perfektionismus zusammen?
Grundsätzlich gesagt: Sie tun es nicht. Das christliche Menschenbild nimmt den Menschen in seiner Gesamtheit wahr. Und dazu gehören neben allem Genialen, Gelingenden und Wunderbaren nun einmal auch die Schwächen, das Scheitern und die körperliche Begrenztheit – bis hin zum Tod.
Der Glaube an Gott prägt also entscheidend das Bild vom Menschen. Christ:innen müssen nicht alles in diesem Leben schaffen. Sie leben in der Zuversicht, dass das Leben im Tod nicht endet und alles, was bis dorthin noch unfertig und vielleicht sogar misslungen ist, von Gott vollendet wird.
Unsere Karikatur spielt mit der Vorstellung, dass die Erschaffung eines perfekten Menschen auch Gott stressen würde. Humor, Gelassenheit und Barmherzigkeit gehören daher ebenso dazu wie die Bereitschaft, anderen ihre Fehler zu verzeihen.
Was hat dieses Projekt mit Weltanschauungsarbeit zu tun?
Sehr viel. Ganz oft bekommen wir Anfragen zu Angeboten, die Menschen suggerieren, dass sie ihre Unzulänglichkeiten oder Mängel jedweder Art auf sehr schnelle und einfache Weise kompensieren oder gar beseitigen können. In vielen Fällen stellen sich die Angebote zur grenzenlosen Selbstoptimierung aber als leere Versprechen heraus, und die Suche beginnt von neuem.
Was macht ein:e Weltanschauungsreferent:in?
Wir sind Beratungsstellen, an die sich jede:r wenden kann. In erster Linie sind das Menschen, die Fragen zu bestimmten Weltanschauungen haben oder meinen, dass es sich bei einer Gruppe um eine so genannte „Sekte“ handelt. In den meisten Fällen sind es Personen aus dem unmittelbaren Umfeld der:des Betroffenen wie Freund:innen, Geschwister oder (Ehe-)Partner:innen, die sich um einen ihnen nahestehenden Menschen Sorgen machen. Oft nehmen sie dabei ein verändertes Sozialverhalten wahr: Hobbys und Freunde werden vernachlässigt, die Freizeit wird immer knapper, oder es werden völlig überzogene finanzielle Beträge investiert.
Unsere Arbeit umfasst neben der persönlichen Beratung auch die Beschäftigung mit Lehren, Ideen und Weltanschauungen, die Menschen Halt und Orientierung geben. Wir bieten interessierten Personen Beschreibungen, Analysen und Einschätzungen dieser Weltanschauungen, um ihnen zu helfen, ihren eigenen Standpunkt zu finden. Eine laufende Beobachtung der sogenannten Weltanschauungsszene ist dafür unabdingbar. Neben Beratung und Information ist Prävention ein weiterer Schwerpunkt. Wir unterstützen Jugendliche dabei, ihre eigene Sichtweise zu entwickeln und versuchen, mit den zur Verfügung gestellten Unterrichtsmaterialien kritisches Denken zu fördern. Wir möchten sie befähigen, vorgefasste Modelle zu hinterfragen und ihre Kompetenz zur differenzierten Betrachtung weltanschaulicher Phänomene zu erweitern.
Herbert Mühringer
ist Referent für Weltanschauungsfragen der Diözese Linz
und unterrichtet katholische Religion am Gymnasium Dachsberg in Prambachkirchen.